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schriftliche Arbeit

Realistischer Verteidigungsunterricht für Frauen (und Kinder), was bedeutet das?

Schriftliche Arbeit zum 4. Höheren Grad von Sabine Mackrodt
(vorgelegt am 17.11.2010)

1. Einleitung

Gewalt gegen Frauen (und Kinder) ist ein gesellschaftliches Problem. Sie ist möglich weil es Hierarchien gibt. Gewalt ist Machtdemonstration. Frauen wissen das ganz intuitiv und Männer sowieso. Der Mann der die Grenzen einer Frau missachtet zeigt damit: Ich habe die Macht. Ich kann das tun weil ich der Überlegene bin. Aus der Opferrolle auszusteigen ist die erste Entscheidung, die jede/r für sich treffen kann. Es wird viel von realistischer Selbstverteidigung gesprochen und oft habe ich den Eindruck es ist unklar was das überhaupt, in Bezug auf den Unterricht für Frauen, bedeutet.

In der folgenden Arbeit möchte ich aufzeigen, welche Folgen die Sozialisation zum weiblichen Ideal für die Wehrhaftigkeit von Frauen haben kann und wie alltägliche Gewalt gegen Frauen (und Kinder) aussieht und welche Konsequenzen sich daraus, meiner Erfahrung nach, für den Selbstverteidigungsunterricht ergeben.

2. Was ist eine Grenzüberschreitung

In unserer Gesellschaft wird die räumliche Distanz zu anderen Menschen wie folgt beschrieben:

  • Private Distanzzone (Vater; Mutter; Ehemann..) = unter 1m
  • Öffentliche Distanzzone (Kollegen; Mitschüler..) = 1 –1,5m
  • Konflikt Distanzzone (in gefährlichen Situationen) = 3 – 4m, wenn mögl.

Eine Grenzüberschreitung ist eine Verletzung des persönlichen Raums. Der persönliche Raum ist der Raum den jemand braucht für sein persönliches Wohlbefinden, seine/ihre Sicherheit und es schließt das Recht ein, sich frei zu bewegen. Grenzüberschreitungen sind Verletzung der körperlichen und psychischen Grenzen. Jede Form von direkter oder indirekter Belästigung stellt eine Verletzung des persönlichen Raums dar (und das gilt auch wenn Frauen/Männer ignoriert oder ausgeschlossen werden).

Alltägliche Grenzverletzungen schaffen ein Klima von Abwertung und Diskriminierung. Jeder belästigende Blick, jede Berührung die eine Frau nicht will, jede Verletzung der persönlichen Grenzen, jede Herabsetzung und jede Beleidigung ist ein Angriff auf ihre Freiheit und Selbstbestimmung und muss als solche auch bewertet werden.

3. Sozialisation und Opfertraining

"Sozialisation ist der Prozess, in dem Menschen in einer Gesellschaft integriert werden. Sie müssen dazu die Werte und Normen, die Sitten und Gebräuche verinnerlichen. Sozialisation erfolgt geschlechtsspezifisch. Sozialisationsprozesse bewirken Einschränkungen und Einspannungen, beinhalten aber auch konflikthafte Übergänge und Brüche. Sie umfassen alle bewusst geplanten Aneignungs- und Erziehungsprozesse, aber auch die unbewussten Beeinflussungen und "Zurichtungen". Sie vermitteln die Erwartungen anderer, Inhalt und Form der Sprache, Macht- bzw. Herrschaftsverhältnisse."
(aus: "Lauter starke Mädchen")

Das weibliche Ideal unserer Gesellschaft erwartet, auch heute noch, von Mädchen und Frauen, sie sollen nett, höflich, zart, freundlich, dünn, schwach, aufopfernd und passiv sein. Weibliche Passivität und Hilflosigkeit, auch in Situationen der Selbstverteidigung sind antrainiert. Frauen verlernen, sich als stark und kompetent zu sehen und sie verlernen an sich selbst zu glauben. Daran einem Angreifer Grenzen setzen zu können.

Handlungsunfähigkeit erlangt man Schritt für Schritt. Das folgend Beispiel aus einem Tchibo Werbekatalog zeigt deutlich, was von Frauen (Mädchen) und von Männern (Jungen) erwartet wird. Die Körperhaltung des Mädchens ist schon fast die Haltung eines Opfers:

Pic 4 Arbeit Technikergrad - Sozialisation

In unserer Gesellschaft werden sexuelle Übergriffe oftmals als Kavaliersdelikt verschwiegen und verharmlost. Das führt dazu, dass weder auf Seiten der Opfer noch auf Seiten der Täter ein Unrechtsbewusstsein entsteht.

Sonny Graff (SV Trainerin und Buchautorin aus Frankfurt) bezeichnet es als Opfertraining wenn Frauen sich in ganz alltäglichen Situationen nicht behaupten können, weil sie dadurch jedes Mal ihre Unterlegenheit trainieren und Schritt für Schritt in die Opferrolle hineinwachsen und diese Rolle verinnerlichen.

Aus der Täterforschung weiß man, Täter testen ihr Opfer. Jede Angriffssituationen beginnen mit einer Grenzüberschreitung. Aber nicht jede Grenzüberschreitung ist Auftakt zu eskalierender Gewalt. Manchmal ist eine Überschreitung der Grenzen auch "nur" Machtdemonstration und erinnert Frauen und Mädchen daran das Männer die Macht haben, Frauen zu vergewaltigen.

Alltägliche Übergriffe, untergraben systematisch das Selbst – Bewusstsein und die Opfer verlieren außerdem ihr Empfinden das ihnen sagt: „Ich will das nicht“ Ein Opfer spürt sich nicht (mehr). Bei den ganz alltäglichen Formen von Belästigungen und Übergriffen geht es für alle Beteiligten auch darum, wieder das Gewalttätige daran zu erkennen und es als solches auch wieder klar zu benennen. Es geht darum wieder ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass das was so alltäglich ist trotzdem nicht in Ordnung ist. Frauen und Männer (auch die Täter) gewöhnen sich an, Übergriffe zu verharmlosen und darüber hinwegzugehen. Sexuelle Gewalt wird oft als Kavaliersdelikt behandelt und eine Frau die sich dagegen wehrt, als eine die eben keinen Spaß versteht.

Ein Beispiel:
In der Oberstufe eines Gymnasiums ist es die Mutprobe der Jungen, Mädchen zwischen die Beine und an die Brust zu greifen. Die LehrerInnen tun so als sei das eine Lappalie ("Jungen machen so was eben in dem Alter um ihre Männlichkeit zu testen") und die Mädchen halten den Mund weil sie nicht die Zicke der Schule sein wollen.

Sie sagen dann Sätze wie: "Ist nicht so schlimm", "Ist ja eigentlich nichts passiert" und doch ist deutlich spürbar wenn sie davon erzählen wie zutiefst verunsichernd und demütigend das für sie ist. Und, jedes Mal wenn sie sich von einem Jungen anfassen lassen ohne klare Grenzen zu setzen trainieren die Mädchen die Opferrolle und eine Frauenrolle die Schwäche und Unterlegenheit bedeutet. Und die Jungen lernen, wenn ich ein Mann sein will muss ich Frauen dominieren. Sie lernen eine Machtposition die davon lebt, andere zu unterdrücken. Und die Erwachsenen tragen all das mit weil sie wegschauen und die Opfer schwächen und die Täter damit stärken. Auch das ist Gewalt.

4. Alltägliche Gewalt gegen Frauen hat viele Gesichter

Wir leben in einem patriarchalen Gesellschaftssystem. In einer Gesellschaft in der Frauen (und Schwule, Lesben, Behinderte, Alte) benachteiligt und oft als minderwertig behandelt werden. In der sich Diskriminierung und Gewalt auf unterschiedlichen Ebenen zeigt. Herrschaftsverhältnisse kann es nur mit Gewalt geben. Unterdrückung setzt voraus, dass es ein Oben und ein Unten gibt. Gewalt ist Machtdemonstration.

Gewalt gegen Frauen kommt im privaten sowie im öffentlichen Bereich vor. Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist ein Problem globalen Ausmaßes und stellt ein Verbrechen dar. Weltweit wird schätzungsweise jede fünfte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung oder einer versuchten Vergewaltigung.

Jede Dritte Frau wird geschlagen, zu Sex gezwungen oder anderweitig missbraucht und zwar in der Regel durch Intimpartner, ein Familienmitglied oder einen Bekannten. Auch durch öffentliche Personen wie Lehrer, Polizisten oder Arbeitgeber. Die Täter kommen überwiegend ungestraft davon. 40 % der in Deutschland lebenden Frauen hat körperliche und / oder sexuelle Gewalt bis zu ihrem 16. Lebensjahr erlebt. Jedes Jahr werden 150 000 – 260 000 Frauen (Mädchen) vergewaltigt. Das bedeutet, alle 3 -5 Minuten ein Fall. Jedes Jahr werden Hunderttausende Frauen und Kinder Opfer von Menschenhandel zu Zwecken von Zwangsarbeit oder Zwangsprostitution und Versklavung. Millionen von Frauen und Kindern sind Schädigenden Praktiken wie Verstümmelung unterworfen sowie Zwangs- oder Kinderheirat. Systematische sexuelle Misshandlung während oder nach Konfliktsituationen ist eine weitere Form von Gewalt gegen Frauen. Gewalt gegen Frauen endet oft auch tödlich. 70 % der weiblichen Mordopfer wurden von ihren männlichen Lebenspartnern getötet. Gewalt gegen Frauen ist ein weit verbreitetes und vielschichtiges Thema, das unterschiedliche Opfer- und Tätergruppen einschließt. Anhand von Beispielen werde ich im folgenden aufzeigen wie sich (alltägliche) Gewalt im Leben von Frauen in unserer Gesellschaft zeigt.

4.1 Sexismus, sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft - Beispiele

In der Werbung

Auch die Medien tragen dazu bei dieses Opferbild von Frauen (und das Täterbild von Männern) weiter zu stärken. Ein Opfer zeichnet sich aus durch eine kriecherische Körpersprache, hängende Schultern und gesenkter Kopf. Ein Bild von Frauen das in vielfältigen Variationen in den Medien auftaucht. Werbung ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und sie prägt auch gleichzeitig den Zeitgeist mit. Immer wieder werden hier Frauen (-körper) zur Ware degradiert und zum Opfer stilisiert. Ein Beispiel dafür ist die D&G Werbung in der eine Massenvergewaltigung suggeriert und künstlerisch in Szene gesetzt wird.

Pic 4 Arbeit Technikergrad - Werbung 01

Oder Werbung in der Frauenkörper sinnentleert neben irgendwelche Produkte gestellt werden. Sie suggerieren, so wie das Bier oder Auto kann Mann sich auch den Frauenkörper nehmen.

Pic 4 Arbeit Technikergrad - Werbung 02 Pic 4 Arbeit Technikergrad - Werbung 03

Sexistische Werbung ist keine Frage des Geschmacks sondern eine Frage des Respekts. Wenn Bilder suggerieren, die Hälfte der Menschheit sind sexuelle Objekte, die Mann sich jederzeit nehmen kann, schafft das ein Klima von Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt. Schon kleine Mädchen lernen sich in aufreizenden sexualisierten Posen zu zeigen. Aussehen ist wichtiger als Sein. Von klein auf erfahren sie so welche Rolle als Frau (und die Jungen, welche Rolle als Mann) ihnen in dieser Welt zugedacht ist.

Strukturelle Gewalt

Zunächst eine Definition nach Johan Galtung:
„Strukturelle Gewalt ist die vermeidbare Beeinträchtigung grundlegender menschlicher Bedürfnisse oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens, die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung unter das herabsetzt, was potentiell möglich ist“.

Die strukturelle Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft zeigt sich beispielsweise dadurch, dass Frauen in Deutschland, noch immer 20 % weniger verdienen als Männer.

Der Unitet Nations Report sagt:
Armut ist weiblich.
Frauen sind die Hälfte der Weltbevölkerung.
Sie leisten 2/3 aller Arbeitsstunden,
sie erhalten 1/10 des Welteinkommens und sie besitzen weniger als 1/100 des Eigentums der Welt.

Noch unsere Urgroßmütter waren absolut besitzlos. Geld ist Macht. Auch in einer Beziehung hat der die Macht, der das Geld besitzt.

Strukturelle Gewalt zeigt sich auch dadurch, dass Frauen in führenden Positionen noch immer nicht gleichberechtigt vertreten sind. Das hat vielfältige Gründe, auf die ich hier im Einzelnen nicht weiter eingehen möchte.

Pic 4 Arbeit Technikergrad - Strukturelle Gewalt

Sexuelle Belästigung

Sexuelle Belästigung dient auch dazu, Machtverhältnisse zu sichern und zu bestätigen. 58% aller Frauen haben sexuelle Belästigung schon erlebt. Ein Mann, der eine Frau ohne Einladung anfasst zeigt damit auch: Ich habe die Macht. Ich kann das, weil Du die Unterlegene bist. Sexuelle Belästigung sind Tatbestände von "zufälligen" Berührungen, in den Po, die Brust kneifen, pornographischen Bilder, Bemerkungen über den Körper, anzügliche Witze, bis hin zu Aufforderung zum Sex und dergleichen mehr. Interessant ist, dass sexuelle Belästigung am häufigsten im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz, in der Schule, im Training und in der Ausbildung passiert. Die Täter sind dem Opfer meistens unbekannt.

Sexualisierte Gewalt / sexuelle Gewalt

Sexualisierte / sexuelle Gewalt richtet sich gegen Frauen und Mädchen. Sie ist vielschichtig und ist grundsätzlich alles was gegen ihren Willen getan wird. Sexualisierte Gewalt beginnt bei der alltäglichen Anmache, frauenfeindlicher Sprache, anzügliche Witzen, Beschimpfungen und Bedrohungen. Auch die Diskriminierung in der Werbung, Internet und den Medien gehören dazu. Der Begriff tätliche sexualisierte Gewalt beinhaltet Belästigung, Verfolgen, Aufgedrängte Küsse, Erzwingen von sexuellen Handlungen und Vergewaltigung, um nur einige Beispiele zu nennen. Weitere Bereiche und Formen sexueller Gewalt sind Zwangsprostitution, Sextourismus, Kinderpornographie, Rituelle Gewalt in Sekten und Kulten.

Häusliche Gewalt

Der gefährlichste Ort für Frauen (und Kinder!) ist ihr eigenes Zuhause.

Gemäß einer von der WHO und der Weltbank beauftragten Studie an Frauen im Alter zwischen 16 und 44 Jahren, ist die häufigste Ursache für Tod und körperliche Schäden, häusliche Gewalt. Häufiger als Krebs, Malaria und Verkehrsunfälle.

Dr. Monika Schröttle sagt:
"Besondere Risikofaktoren für schwere Gewalt in Paarbeziehungen bestehen vor allem dort, wo entweder beide Partner in schwierigen sozialen Lagen (auch Trennungssituationen gehören hier dazu) sind, oder dort, wo Frauen ihren Partnern in ökonomisch-sozialer Hinsicht überlegen sind. Eine Ursache dafür ist in einem traditionellen Rollenverständnis zu suchen. Viele Männer fühlen sich durch Frauen auf Augenhöhe angegriffen, ihr Männlichkeitsbild wird durch starke Frauen infrage gestellt."

Ein Beispiel für häusliche Gewalt:
Eine Nacht im Dezember vor vier Jahren. Melanie schläft, sie ist 38 Jahre alt, Lehrerin und eine selbstbewusste Frau. Neben ihr im Bett liegt ihr Ehemann. Das Paar ist vor ein paar Tagen geschieden worden, bald wird Melanie umziehen in eine eigene Wohnung. Doch bis dahin teilt sich das Expaar das Schlafzimmer. Plötzlich wacht Melanie auf, weil "irgendwas drückt und zerrt" an ihr. Sie braucht einige Sekunden, um zu begreifen, was los ist. Ihr Mann liegt auf ihr, er ist schwer und seine Hände begrapschen ihre Brüste. Er hat ihre Beine auseinandergedrückt, dringt in sie ein und stößt zu, einmal, zweimal, immer wieder. Sie will schreien, sie will, dass er aufhört. Aber dann lässt sie es doch geschehen. Sie hofft einfach nur, dass es gleich vorbei ist. Melanie wurde vergewaltigt, überwältigt im Schlaf von ihrem eigenen Mann. Heute weiß sie das, heute kann sie das auch so ausdrücken. Melanie ist kräftig, sie hat eine dunkle Stimme und ihr Leben im Griff. Damals, sagt sie, hätte sie den nächtlichen Übergriff niemals als Vergewaltigung bezeichnet. Es war schlimm, ja, ihr Exmann war brutal. Und die Sache ist ihr immer peinlich, immer noch nach so langer Zeit. Deshalb will sie ihren richtigen Namen auch nicht in der Zeitung lesen. An Vergewaltigung aber, an eine Straftat, für die verurteilte Täter mindestens zwei und höchstens 15 Jahre ins Gefängnis geschickt werden können, daran hat Melanie damals nicht gedacht. Warum nicht? Sie sagt: "Er war mein Mann. Ich dachte, Vergewaltigungen passieren nur durch Fremde. Außerdem ist mir ja nichts weiter passiert."

Weitere Formen häuslicher Gewalt

Soziale Gewalt

  • Einschränken ihrer Freiheit und Unabhängigkeit
  • Kontakt und Ausgehverbot z.B.

Ökonomische Gewalt

  • Verbot der Berufstätigkeit oder Zwang zur Berufstätigkeit
  • Verweigerung finanzieller Mittel

Psychische Gewalt

  • Permanente Beschimpfungen
  • Schlafentzug
  • Erniedrigungen
  • Die Kinder als Druckmittel einsetzten
  • Drohung sie ihr weg zu nehmen, zu entführen oder zu töten
  • Todesdrohungen
  • Sie für verrückt erklären
  • Kontrolle
  • Einschüchtern
  • Beleidigen
  • Drohen
  • Sie für die Gewalt verantwortlich machen
  • Sie vor anderen demütigen und beleidigen

Physische Gewalt

  • Essensentzug
  • Schlagen
  • Treten
  • Würgen
  • Waffeneinsatz

5. Realistischer Verteidigungsunterricht für Frauen (Mädchen)

Ich verwende das Wort Selbstbehauptung (SB) für Situationen in denen Körpersprache und Stimme eingesetzt werden um die eigenen Grenzen zu verteidigen. Das ist die Phase in der zumeist verbal und / oder auch räumlich Grenzen missachtet und überschritten werden. SB hat zum Ziel eine grenzüberschreitende Situation sofort, bei den ersten Anzeichen zu stoppen. Die Prävention sozusagen. Um in der SB stark zu sein braucht es ein waches, klares Bewusstsein für das was gerade ist und Vertrauen in die eigene Wahrnehmung.

Selbstverteidigung (SV) beginnt wo die SB aufhört. Bei körperlich eskalierenden Situationen. Sie ist die Rückendeckung um in der SB überzeugend und stark aufzutreten. WT, als Kampfkunst ist auf technischer Ebene für alle WT. Die Unterscheidung in weibliche und männliche Realität wird erst wichtig wenn wir über realistische SB / SV sprechen. Realistische SB / SV muss sich auf die jeweilige (Er-) Lebenswelt beziehen sonst bleibt alles Erlernte wirkungslos. Selbstbehauptungstraining setzt an wo ein Übergriff beginnt. Bei der Kontaktaufnahme, der ersten Grenzüberschreitung. Sie sollte das Durchsetzungsvermögen und das Selbstbewusstsein fördern, denn jede kann lernen sexistische Übergriffe eindeutig zurück zuwiesen. Ganz gleich ob es verbale, visuelle oder handgreifliche Übergriffe sind. Betrachten wir die verschiedenen Formen von Gewalt wird deutlich, dass die Übergänge von noch "nur" verbaler Grenzüberschreitung zu tätlichen Angriffen oft fließend sind. Der Mann der eine Frau gerade belästigt, will vielleicht testen ob sie das geeignete Opfer ist. Erinnern wir uns: Grenzüberschreitungen jeglicher Art können solch ein Test des Täters sein und der Auftakt zu massiver körperlicher Gewalt. Darüber müssen Frauen informiert werden. Und es gilt ein Bewusstsein zu bekommen. für die feinen Signale im Vorfeld und Vertrauen in die eigene Intuition. Es gibt nur wenige Frau, die Gewalt erlebt hat und nicht schon im Vorfeld das Gefühl hatte, hier stimmt etwas nicht. Frauen können lernen sich wieder auf diese feine innere Stimme zu verlassen und so Eskalation von Gewalt zu verhindern. Das bedeutet neben der intuitiven Kraft auch die Eigen – und Fremdwahrnehmung zu schulen und das Vertrauen in diesen Sinn zu stärken.

Des Weiteren sollten Körpersprache, Sprache, Stimme, Mimik und Gestik geübt und wirkungsvoll für die Verteidigung eingesetzt werden. Frauen sollten außerdem die Gelegenheit haben, ihre eigene Kraft zu erkennen. Das Training an Schlagpolstern ist hier ein gutes Mittel. Auch für das Training der Stimme. Da Frauen in der Regel darauf sozialisiert sind, sich still, unauffällig zu verhalten und leise zu sein sollte die Lautstärke der Stimme oft trainiert werden. Denn im Ernstfall stellt Lautstärke Öffentlichkeit her, was die meisten Täter abschreckt. Lautstärke erschreckt und schwächt die Position des Angreifers und unterstützt die Handlungsfähigkeit der Frau.

Eine Studie der Polizei Hannover zum Gegenwehrverhalten bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung zeigt, dass bereits bei leichter und konsequenter Gegenwehr der Frau zu 68 % der Täter die Tat abbrach. Bei massiver Gegenwehr der Frau konnten sogar 84 % der Täter zum aufgeben ihres Vorhabens gebracht werden Frauen sollten außerdem lernen klare, kurze Aussagesätze zu formulieren, keine Fragen zu stellen, keine Erklärungen abzugeben und konsequent bei ihrem Wollen, bei ihrem Nein zu bleiben. Die innere Stärke ist entscheidend für Sieg oder Niederlage. Es ist wichtig Entschlossenheit, Willenskraft und innere Klarheit zu fördern. SB /SV Techniken nutzen nur dann etwas, wenn ich mir auch zutraue sie anzuwenden.

5.1 Das Rollenspiel

Eins der Wichtigsten Instrumente für realistischen Verteidigungsunterricht ist das Rollenspiel. Das ist die gedankliche Auseinandersetzung mit bedrohlichen Ausnahmesituationen um ein zielgerichtetes Verhalten ohne Denkblockaden und Panikverhalten zu fördern. Hier geht es darum psychologische, emotionale und tatkräftige Strategien für gewalttätige Situationen zu finden und durchzuspielen. Man hat festgestellt, in diesen Simulationen reagiert der menschliche Körper mit Symptomen wie in realen Stresssituationen. Frauen können lernen, unbequeme Gegnerinnen zu werden. Sie können lernen kein Opfer mehr zu sein und die Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen.

Die Methode des Rollenspiels setzt bei Alltagssituationen an, die die Frauen zum Unterricht "mitbringen". Das heißt, Situationen die sie meistens selber erlebt haben. Situationen mit unbefriedigendem Verlauf bleiben oft jahrelang im Gedächtnis und verhindern stark und wehrhaft aufzutreten und zu handeln. Im Rollenspiel kann das Erlebnis einer Niederlage, in einen Sieg verwandelt werden. Neue Handlungsstrategien helfen aus der Opferrolle auszusteigen. Das Rollenspiel trainiert die innere Haltung und Frauen haben die Möglichkeit sich gefahrlos auszuprobieren und ihre eigenen Stärken und ihre Schwachstellen kennen zu lernen. Indem eine Frau ausprobiert wie es ist, einer Anmache kraftvoll zu begegnen, erlebt sie die Dynamik zwischen Opfer und Täter neu. Sie lernt, wie sie die Rolle des Angreifers stabilisiert, in dem sie sich zum Opfer machen lässt und ihn schwächt indem sie sich handlungsfähig und stark zeigt. Gleichzeitig erfährt sie in der Rolle des Angreifers, dass es für den Täter schwer ist mit der Belästigung fort zu fahren, wenn eine Frau sich entschlossen zur Wehr setzt. Die vermeintliche Stärke des Angreifers schrumpft auf ein Niveau, was den realen Gegebenheiten entspricht. Das eigene Selbstbild wird positiver und sie begreift, welche Verantwortung sie für ihre eigene Sicherheit hat.

Im Rollenspiel kann jede Frau ausprobieren sich breitbeinig und groß vor dem Angreifer aufzubauen. Sie lernt ihren Blick während der gesamten Konfrontation erhoben zu halten, auf die Augen (Nasenwurzel) des Gegenübers zu richten und ein entschuldigendes Lächeln und Erklärungen zu unterlassen. So wird jeder Frau bewusst, dass derart offensives Verhalten oft unvereinbar scheint mit dem traditionellen Rollenbild. Und sie findet heraus wie sehr sie vielleicht darin verhaftet ist. Sie begegnet ihrer Sorge nicht mehr als Frau anerkannt zu werden und von Anderen als Zicke gesehen zu werden, wenn sie einem Mann deutlich die Meinung sagt. Und sie merkt wie sie das daran hindert sich mit ihrer Kraft zu zeigen und ihre Grenzen zu schützen.

Hier kann jede Frau sich auch damit auseinandersetzten wie schwer es sein kann einem Bekannten, dem Ehemann, Chef und dergleichen klare Grenzen zu setzen. Sie kann lernen zu verstehen warum es schwer ist "Nein" zu sagen wenn sie in Beziehung steht zu dem Täter. Frauen sagen häufig selbst, sich gegen einen fremden Täter zu wehren scheint ihnen verhältnismäßig einfacher. So bereiten sich Frauen darauf vor, wie es ist Grenzen zu setzen, wenn sich Liebe, Beziehung und Gewalt vermischen. Ein sehr wichtiger Punkt.

5.2 Die körperliche Technik

Auf der körperlichen, technischen Ebene ist es wichtig, neben Angriffen wie Ohrfeigen, Schubsen, Festhalten jeglicher Art, bis hin zum Umklammern, Körperliches bedrängen (zum Beispiel an die Wand drücken) und Antatschen jeglicher Art, auch Situationen am Boden zu trainieren. In jeder Form. Gegen den noch stehenden Angreifer, gegen den der auf ihr sitzt, am Boden, auf dem Sofa, im Bett usw.

Die Verteidigungstechnik sollte einfach anzuwenden und wirkungsvoll sein. Hierzu braucht jede Frau das Wissen wo ein menschlicher Körper leicht zu treffen und schwer zu verletzen ist. Und sie muss ihren eigenen Körper als Waffen kennenlernen.

Die Techniken sollten eingebunden in Situationen geübt werden, die Frauen wirklich zu befürchten haben. Hierbei wird neben dem körperlichen üben immer auch der “Kopf“ trainiert. Die gedankliche Auseinandersetzung mit einer gefährlichen Situation, den eigenen Blockaden und Ängsten sollte angeregt werden. Oft haben Frauen beispielsweise Angst den Angreifer zu verletzen. Sie müssen begreifen, soll eine SV wirkungsvoll sein, müssen sie den Angreifer verletzen. Denn jede Verteidigungsstrategie sollt zum Ziel haben die eigene Flucht zu ermöglichen. Dafür muss der Täter vielleicht ausgeschaltet werden. WT ist hier ganz besonders geeignet, da es all die wirklich wirkungsvollen Schläge (Schläge zum Hals, Augenstiche) übt.

Pic 4 Arbeit Technikergrad - Sabine Mackrodt

6. Literaturliste

"Und bist Du nicht willig... Die Täter"
Ray Wyre; Anthony Swift
Volksblatt Verlag

"Mut zur Angst – Wie Intuition uns vor Gewalt schützt"
Gavin de Becker
Fischer TB

"PorNo"
Alice Schwarzer (Hg.)
Verlag Kiepenheuer & Witsch

"Vergewaltigung – Wie Frauen sich schützen können"
Laura C. Martin
Knaur Verlag

"Lust am Töten – Eine feministische Analyse von Sexualmorden"
Deborah Cameron; Elizabeth Frazer
Fischer TB

"Mit mir nicht – Selbstbehauptung und Selbstverteidigung im Alltag"
Sunny Graff
Orlanda Verlag

"Schlagfertige Frauen"
Caigan; Denise / Gail Groves (Hrsg.)
Auflage Orlanda Frauenverlag, Berlin 1990

"Das weibliche Prinzip.. und die Kraft zur Veränderung"
Elworthy; Skylla
Ariston Verlag

"Krieger des Herzens; Eine Schulung zur friedlichen Konfliktlösung"
Perry; Danaan
Verlag Alf Lüchow

"Gewalt. Beschreibung, Analysen, Prävention"
Wilhelm Heitmeyer / Monika Schröttle (Hg.)
Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 563

"Die Ebenen des Bewusstseins"
David R. Hawkins
VAK Verlags GmbH

"Emotionale Intelligenz"
Goleman, Daniel
dtv Taschenbuch